Veränderung in der deutschen China-Politik? Ein Blick in die Wahlprogramme
Deutschland hat gewählt. In den kommenden Wochen entscheidet sich, wer die neue Bundesregierung bilden wird. An den Grünen und der FDP dürfte dabei kein Weg vorbeiführen. Das dürfte Konsequenzen für die künftige Chinapolitik Deutschlands haben, da sich beide Parteien in vielen Fragen kritischer mit China auseinandersetzen als andere. Bereits vor einigen Wochen hat Ariane Reimers, Senior Fellow bei MERICS, sich die Wahlprogramme der Parteien genauer angesehen und miteinander verglichen.
Die Ära Merkel neigt sich ihrem Ende entgegen. In drei Monaten stehen in Deutschland Bundestagswahlen an, im Herbst wird eine neue Person ins Kanzleramt einziehen. In welchem Ausmaß ein zukünftiger Kanzler Laschet (CDU) oder eine zukünftige Kanzlerin Baerbock (Grüne) den Kurs der Chinapolitik Deutschlands verändern wird, lässt sich bisher nur mutmaßen. Deswegen lohnt ein Blick in die Wahlprogramme der deutschen Parteien. Anders als in vorangegangenen Wahlkämpfen spielt China diesmal eine größere Rolle, die Parteien widmen ihrer Chinapolitik ein ganzes Kapitel oder zumindest einen längeren Absatz. Das ist neu.
Nahezu alle werfen einen kritischen Blick auf China, im Mittelpunkt stehen geostrategische Herausforderungen, Marktzugangsbedingungen und die Situation der Menschenrechte. Und doch setzen alle Parteien eigene Akzente. Während die CDU/CSU vor allem die außen- und sicherheitspolitische Herausforderung betont, die China darstellt, legen die Grünen ihren Schwerpunkt auf die Menschenrechtslage einerseits und die Notwendigkeit eines Klimadialogs andererseits.
Auch die SPD verurteilt die Situation in Xinjiang und Hongkong, streicht aber stärker ihre Dialogbereitschaft heraus. Die FDP lässt sich in ihrem Programm sehr umfänglich zu China ein, im Zentrum stehen Menschenrechtsverletzungen, Rechtssicherheit und ein Ausbau der Beziehungen zu Taiwan. Die Linke hält sich mit Kritik an China zurück, sucht eher eine äquidistante Position. Die AfD schließlich formuliert widersprüchlich, propagiert die Teilnahme Deutschlands an der Seidenstraßen-Initiative (BRI), kritisiert aber die Einmischung Chinas über die Konfuzius-Institute.
Die vier potentiell an der zukünftigen Bundesregierung beteiligten Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP sind sich weitgehend darin einig, dass die Chinapolitik europäisch sein muss. Außerdem fordern sie einhellig faire Wirtschaftsbeziehungen, also einen gegenseitigen Marktzugang unter gleichen Bedingungen und Rechtssicherheit, wobei die SPD an dieser Stelle nur sehr allgemein formuliert. Deutlich bei allen vier Parteien auch der Wunsch, Europa vor allem in den Bereichen Digitalisierung und Technologie wettbewerbsfähiger zu machen.
CDU/CSU und Grüne bewegen sich in einigen Punkten im Gleichklang, etwa bei der grundsätzlichen Einordnung – beide nutzen den Dreiklang „Wettbewerber, Partner, systemischer Rivale“ – und zwar in dieser Reihenfolge. Beide sprechen in ihrem Wahlprogramm explizit davon, China auch transatlantisch zu begegnen, vor allem wenn es um den Schutz von Daten und Netzsicherheit geht.
Dafür findet sich im Programm der Unionsparteien kein Wort zur Menschenrechtslage – hier lassen sich hingegen deutliche Überstimmungen bei SPD, Grünen und FDP erkennen. Vor allem die beiden heutigen Oppositionsparteien gehen in diesem Punkt weiter ins Detail, etwa wenn es um Zwangsarbeit und die Einhaltung von ILO-Normen geht, die technische Überwachung der Bevölkerung oder die Situation in Hongkong. Dass Grüne und FDP sich hier weitgehend einig sind, zeigt auch ein gemeinsamer Namensartikel von Reinhard Bütikofer (MdEP, Grüne) und Olaf in der Beek (MdB, FDP) zum Thema.
Geht man von den Wahlprogrammen aus, so ist nach der Wahl durchaus eine Veränderung in der Chinapolitik zu erwarten. So steht eine stärkere europäische Ausrichtung im leichten Gegensatz zu der vor allem bei den Wirtschaftsinteressen bisher bilateral ausgerichteten deutschen Chinapolitik. Auch in der Debatte um 5G sprechen sich die Parteien zumindest implizit für eine europäische Lösung aus, warnen vor einer Abhängigkeit in der Digitaltechnik. Sollten FDP und Grüne an der künftigen Bundesregierung beteiligt sein, so ist generell eine härtere Gangart gegenüber China wahrscheinlich.
Wahlprogramme sind allerdings nur Absichtserklärungen – in welche Richtung sich die zukünftige Chinapolitik tatsächlich bewegt, wird sich erst in den Koalitionsverhandlungen herauskristallisieren.
Mehr zum Thema: Lesen Sie auch die Kurzanalyse von Barbara Pongratz über „Deutschlands nächste China-Politik“ (in englischer Sprache).
Medienberichte und Quellen:
- CDU/CSU Wahlprogramm
- SPD Wahlprogramm
- Bündnis 90/Die Grünen Wahlprogramm
- FDP Wahlprogramm
- AfD Wahlprogramm
- Die Linke Wahlprogramm (Entwurf)
- Tagesspiegel: Wie man einen Rivalen zähmt: Neun Thesen von Grünen und FDP zum Umgang mit China
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