Workers place a national emblem outside the Metropark Hotel Causeway Bay
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China greift in Hongkong durch – Die EU ringt um klare Antworten

TOP STORY: China greift in Hongkong durch – Die EU ringt um klare Antworten

Zwei Wochen nach dem Erlass des Nationalen Sicherheitsgesetzes für Hongkong setzt China seinen verschärften Kontrollanspruch zügig in Taten um – während sich das Ringen der EU um eine gemeinsame Reaktion zäh gestaltet. Die EU-Außenminister in Brüssel kritisierten zwar das Gesetz als „drakonischen“ Eingriff, der den Sonderstatus Hongkongs nach dem von China selbst propagierten Prinzip „Ein Staat, zwei Systeme“ de facto beendet. Das Ende Juni verabschiedete Sicherheitsgesetz stellt Aktivitäten unter Strafe, die China als Subversion, Separatismus, Terrorismus oder Verschwörung mit ausländischen Akteuren interpretiert.

Als Reaktion auf Chinas historischen Schritt diskutierten die Minister zunächst aber nur ein Exportverbot für Tränengas oder Gummigeschosse, außerdem sollen Hongkonger leichter in der EU bleiben können, wenn sie sich politisch verfolgt sehen. Zu härteren Maßnahmen, wie Sanktionen oder der Aufkündigung von Auslieferungsabkommen mit Hongkong, konnten sich die EU-Außenminister nicht entschließen. Eine einhellige Antwort an China dürfte aufgrund der widerstreitenden Positionen zwischen und innerhalb der EU-Mitgliedstaaten weiter auf sich warten lassen.  

Andere Staaten haben deutlich schärfer auf die Vorgänge in Hongkong reagiert: US-Präsident Donald Trump unterzeichnete ein Sanktionsgesetz gegen China und hob den Sonderstatus auf, durch den Hongkong – im Gegensatz zu China – Zugriff auch auf sensitive US-Technologie hatte. Das US-Gesetz soll es ermöglichen, gegen Individuen und Institutionen vorzugehen, die an der „Auslöschung der Freiheit“ in Hongkong beteiligt sind. Auch Kanada, Australien und Großbritannien fahren einen härteren Kurs. Premier Boris Johnson stellte bis zu drei Millionen Hongkongern die britische Staatsbürgerschaft in Aussicht.

Dieses Angebot könnte für manchen Bürger der Sonderverwaltungszone an Attraktivität gewinnen. Denn die chinesische Führung treibt die weitreichende Anwendung des Nationalen Sicherheitsgesetzes mit Macht voran. Am 8. Juli gaben chinesische Medien bekannt, dass die „Behörde der chinesischen Zentralregierung zur Wahrung der nationalen Sicherheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong“ künftig im Metropark Hotel Causeway Bay ihren Sitz haben werde. Die neue Behörde wird vom früheren Parteisekretär der Provinz Guangdong, Zheng Yanxiong, geleitet, der für die Niederschlagung von Anti-Korruptionsprotesten im Dorf Wukan 2011 verantwortlich war.

Nahezu zeitgleich tagte erstmals auch das „Komitee der Regierung von Hongkong zur Wahrung der nationalen Sicherheit“. Auch diese Institutionen wurde auf Basis des Sicherheitsgesetzes etabliert. Regierungschefin Carry Lam steht dem Gremium vor, die Regierung in Beijing hat den Chef ihres Verbindungsbüros in Hongkong, Luo Huining, entsendet. Personelle Überlappungen deuten auf eine fortschreitende institutionelle Gleichschaltung von Hongkonger und Beijinger Behörden hin.

Derweil halten Teile der Bevölkerung (noch) dagegen: Trotz Warnungen von offizieller Seite beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter mehr als 650.000 Menschen an Vorwahlen für eine Liste von Kandidaten der demokratischen Parteien für die im September anstehenden Wahlen zum Legislativrat (LegCo). Chinas Verbindungsbüro bezeichnete die Vorwahlen als “illegal”. Mit weiteren Auseinandersetzungen im Vorfeld der Wahlen ist zu rechnen; Hongkong könnte erneut ein “heißer Sommer” bevorstehen.

MERICS-Analyse

„Die in Hongkong eingerichteten Sicherheitsgremien werden ihren Wirkungskreis und die Anwendung des nationalen Sicherheitsgesetzes nahezu beliebig gestalten können. Die systematische Kriminalisierung von aus Sicht Beijings unliebsamen Aktivitäten ist zu befürchten“, sagt MERICS-Expertin Kristin Shi-Kupfer.

Medienberichte und Quellen:

Europa wendet sich von Huawei ab

Die Fakten:

Huawei gerät in Europa unter Druck. Großbritannien kündigte diese Woche an, das chinesische Unternehmen vom weiteren 5G-Ausbau auszuschließen – im Rahmen einer breiter angelegten Neuausrichtung der Regierungspolitik gegenüber China. Die französische Regierung rät Telekom-Unternehmen davon ab, Huawei-Technologie zu verwenden, und plant die Entfernung aller Huawei-Komponenten, die aktuell im Einsatz sind. In Italien, wo im November 2019 ein umfassendes Cyber-Sicherheitsgesetz eingeführt wurde, erwägen Regierungsvertreter ein Verbot. Telecom Italia hat Huawei bereits von einem Bieterverfahren zur Bereitstellung der Kerntechnologie für 5G-Netzwerke ausgeschlossen. Deutschland bleibt unentschieden. Die Deutsche Telekom ist unter Beschuss, weil das Unternehmen auch künftig Huawei-Ausrüstung nutzen will. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat wiederholt festgestellt, ein Ausschluss von Huawei sei nur gerechtfertigt, wenn die „nationale Sicherheit sichtbar gefährdet“ sei.  

Der Blick nach vorn:   

Die Nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Trump, Robert O’Brien, und sein Stellvertreter Matthew Pottinger, sind diese Woche in Europa, um britische, französische, deutsche und italienische Regierungsvertreter zu treffen. Nach derzeitiger Lage ist es unwahrscheinlich, dass Huawei künftig noch prominent unter den Ausrüstern für Europa vertreten sein wird. Der EU-Wiederaufbaufonds scheint eine Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt zu haben, weil er Italien veranlasst hat, strengere Maßnahmen zu diskutieren, die mit den Empfehlungen EU zur Cybersicherheit in 5G-Netzwerken übereinstimmen. Als zu beachtendes Risiko wird darin die Fähigkeit von Drittstaaten genannt, Druck auf Ausrüster zur Spionage oder Einflussnahme auszuüben.

MERICS-Analyse:  

Auch wenn die USA ihre Verbündeten drängen, Huawei vom 5G-Ausbau auszuschließen, wäre es falsch, die jüngsten Beschlüsse europäischer Regierungen als Entscheidung für oder gegen die USA oder China zu werten. Nationale Sicherheitserwägungen dürften auch eine Rolle gespielt haben. Es ist unklar, welche Verbindungen genau Huawei zu Staat und Partei in China pflegt. Die chinesische Staatssicherheit, Nachrichtendienste und die Anti-Spionage-Gesetzgebung verpflichten Unternehmen zur Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsapparat, wenn dieser sie anfordert.  

Medienberichte und Quellen:  

 

Chinas Börse im Aufwind – Investoren aus In- und Ausland begeistert vom „Bullenmarkt“

Die Fakten:

Ungeachtet der durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise erlebt die chinesische Börse einen erstaunlichen Höhenflug. Der Index Shanghai Composite liegt 20 Prozent über dem Stand vom 15. Juni und damit so hoch wie zuletzt 2018. Verschiedene Faktoren tragen derzeit dazu bei, das Investoren auf den chinesischen „Bullenmarkt“ strömen und die Aktienpreise in die Höhe schnellen. Dazu gehören optimistische Wachstumsschätzungen, überraschend positive Handelszahlen, monetäre Anreize der Regierung und aus dem Ausland einströmendes Kapital. Im Juni stiegen Ex- und Importe um jeweils 0,5 und 2,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, was auf eine leichte Erholung hindeutet. Durch die steigenden Börsenkurse und das gestiegene Interesse ausländischer Investoren verbesserte sich auch der Wert des chinesischen Yuans, der Wechselkurs zum US-Dollar lag bei 7:1 (Mitte Juni: 7,14:1).

Der Blick nach vorn:

Die Lage der chinesischen Wirtschaft ist mitnichten stabil. Das Hoch an der Börse deutet auf ein steigendes Vertrauen der Investoren in eine Erholung der chinesischen Wirtschaft. Wegen monetärer Stimulusmaßnahmen der Regierung ist mehr Liquidität im Markt, ein Teil davon wurde offenbar in Börsenwerte investiert.  

MERICS-Analyse:

Die Börsenpreise reflektieren nicht die wirtschaftliche Realität. Hinter China liegt ein schweres Jahr, wie sich an den Unternehmensbilanzen ablesen lässt. Ende Mai lagen die Industriegewinne mehr als 22 Prozent unter denen des Vorjahres. Viele börsennotierte Firmen werden in diesem Jahr keine Dividenden auszahlen. Die Veröffentlichung der Bilanzen wird zeigen, dass viele ihre Einnahmen vor allem für den Schuldendienst verwenden werden müssen als für Neuinvestitionen.

Medienberichte und Quellen:

 

Vergeltung des kleinen Mannes? Busunglück in Guizhou sorgt für Debatten

Die Fakten:  

Ein von einem Busfahrer in der Provinz Guizhou offenbar absichtlich herbeigeführtes Unglück mit 21 Toten, darunter fünf Schülern, wird derzeit in Chinas sozialen Medien kontrovers diskutiert. Staatlichen Medienberichten zufolge betrank sich der Fahrer aus Verzweiflung, weil sein Haus im Rahmen eines Regierungsprojekts abgerissen wurde. Die angebotene Entschädigung von umgerechnet rund 10.000 USD hatte er demnach nicht eingelöst. Berichten zufolge lenkte der Mann den Bus quer über die Fahrbahn durch die Leitplanke in einen See hinein. In Chinas sozialen Medien äußerte ein Teil der Internetnutzer Verständnis für die Verzweiflung des Fahrers. Andere, darunter offizielle Kommentatoren, verurteilten die Tat und jegliches Mitleid mit dem Täter. Wiederum andere kritisierten die Enthüllungen privater Informationen auf Basis sozialer Medienkanäle, die der Fahrer genutzt hatte.   

Der Blick nach vorn:

Die Tatsache, dass der Fahrer teils auf Verständnis trifft, obwohl bei dem Unglück zahlreiche Menschen starben, deutet auf tiefe Unzufriedenheit der Bevölkerung mit lokalen Autoritäten hin. Angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise stehen lokale Behörden verstärkt unter Druck, Modernisierungs- und Infrastrukturprojekte kostengünstig umzusetzen. Deshalb könnten sich Auseinandersetzungen mit betroffenen Bürgern häufen.  

MERICS-Analyse:  

Der Vorfall erinnert an eine anhaltende gesellschaftliche Debatte zur „(Selbst)Justiz des kleinen Mannes“ in China. Das Thema erregte erstmals 2008 landesweit Aufmerksamkeit, als ein 28-Jähriger ohne feste Anstellung in Shanghai nach Auseinandersetzungen mit den Polizeibehörden sechs Polizisten erstach. Der später zum Tode verurteile Mann wurde in Teilen der chinesischen Bevölkerung zur Symbolfigur für die Rache des einfachen Mannes an der Gesellschaft, der keine andere Möglichkeit sah, sich zu wehren und seinen Interessen Geltung zu verschaffen.   

Medienberichte und Quellen:  

METRIX

Die Corona-Krise hat Chinas Wirtschaft schwer getroffen. Jetzt zeigen sich jedoch Zeichen der Erholung. Importe und Exporte sind über das zweite Quartal leicht angestiegen, vor allem im Bereich Medizinausrüstung. Im ersten Halbjahr 2020 stiegen dort laut chinesischem Zollamt die Exporte um 46,4 Prozent. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise hatten chinesische Hersteller weltweit Masken und Medizinische Ausrüstung geliefert.

REVIEW

“China's National Security: Endangering Hong Kong's Rule of Law?” von Cora Chan und Fiona de Londras (Hg.), Hart Publishing, 2020.   

Dieses hochaktuelle Buch diskutiert die Frage, ob und wie die nationalen Sicherheitsinteressen des chinesischen Parteistaats mit Rechtsstaatlichkeit in Hongkong zu vereinbaren sind. Das Buch versammelt Beiträge von Hongkonger und internationalen Rechtsexperten. Es wurde 2019 fertiggestellt, als die Bürger der halbautonomen Stadt in Scharen auf die Straße gingen, um gegen ein neues Auslieferungsgesetz zu demonstrieren. Das am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getretene Nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong war zu dem Zeitpunkt noch unvorstellbar.

Während Beobachter weltweit noch versuchen zu begreifen, welche langfristigen Folgen das Gesetz haben wird, verändert es bereits Hongkongs Gesellschaft und seine Institutionen. Der Anspruch des Buches, Wege zu ergründen, wie „Hongkongs lebendiges bürgerliches Rechtssystem mit seinem Respekt für Menschenrechte und Gewaltenteilung im Rahmen von Chinas leninistischem Rechtssystem“ erhalten werden kann, wurde von den jüngsten Ereignissen teilweise überholt. Dies macht es jedoch nicht weniger lesenswert für all jene, die sich für die Vergangenheit und Zukunft Hongkongs interessieren.  

Das Buch analysiert Beijings Denkmuster und politische Motivationen, die Dynamiken zwischen Zentralregierung und lokaler Ebene sowie die Spannungen in Hongkongs Politik und Gesellschaft. Es dokumentiert einen Teufelskreis: wie Chinas existentielle Angst vor Abspaltung und Subversion Beijing dazu gebracht hat, Versprechen über freie Wahlen zu brechen und vehement in Hongkongs Freiheiten einzugreifen; Schritte, die wiederum den Widerstand und die Radikalisierung der Hongkonger Oppositionsbewegung beförderten.

Das Hongkonger Nationale Sicherheitsgesetz hat der Justiz, den Verbänden, Medien, der akademischen Welt und der Zivilgesellschaft Grenzen gesetzt. Aber die Autoren zeigen auch, wie tief diese Gruppen in der Hongkonger Gesellschaft verwurzelt sind, und machen deutlich, dass nicht unterschätzt werden sollte, welchen Beitrag sie weiterhin für die Wahrung von Bürgerrechten in Hongkong leisten – auch nachdem China seine Vision von nationaler Sicherheit rechtlich durchgesetzt hat.  

Rezension von Katja Drinhausen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin   

VIS-À-VIS

Norbert Frischauf zu Chinas Mars-Mission: „Die Chinesen sind potenzielle Partner, die man im Auge behalten muss“

China schickt erstmals ein Rover zum Mars – vermutlich noch im Juli. Drei Fragen an Norbert Frischauf, der als Partner bei SpaceTec Capital Partners unter anderem die Europäische Weltraumorganisation und die EU-Kommission berät.   

1. Wie passt die unbemannte Tianwen-1-Mission in das chinesische Raumfahrtprogramm, und verändert es den Wettbewerb mit NASA und ESA?  

Tianwen – übersetzt „Himmelsfragen“ – soll zum ersten Mal ein chinesisches Forschungsfahrzeug auf den Mars bringen. Es ist der nächste logische Schritt nach der Yutu- oder Jade-Hase-Mission zum Mond 2013: nach dem Mond-Rover kommt der Mars-Rover. Wer im Weltraumgeschäft ernstgenommen werden will, muss auf den Mars. Die Mission hat also viel mit Prestige zu tun, weder wissenschaftlich noch technisch ist sie der große Wurf. Die Chinesen benutzen etablierte Technik und untersuchen Boden und Atmosphäre, was Amerikaner, Russen und Europäer schon längst getan haben. Es soll bei dieser „Flaggen-Mission“ eben nichts schiefgehen. Doch wird der Konkurrenzkampf immer etwas hochstilisiert – man konkurriert, muss aber immer wieder zusammenarbeiten. Neben den USA, Europa, Russland, Japan und Indien ist China in diesem Geschäft noch relativ isoliert. Aber die China National Space Administration (CNSA) hat bereits in anderen Feldern mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) kooperiert. Wir Europäer kommen ohne USA und Russland – und künftig vielleicht auch China – nicht bemannt auf Mond und Mars.    

2. Wir haben jüngst eine neue Großmachtkonkurrenz zwischen den USA und China gesehen. Gibt es diese auch im Weltraum, und was sind die Folgen?  

Der Weltraum ist ein Spielfeld, auf dem ein Staat zeigt, was er kann. Das haben wir in den 1960er-Jahren im Wettlauf zum Mond gesehen: Die Sowjetunion und die USA wollten verbündete und neutrale Staaten mit ihrer Technik beeindrucken. Die Sowjets hatten zuerst die Nase vorn, was die USA tief schockierte. Denn ein ziviles Weltraumprogramm zeigt, was ein Staat militärisch kann: Eine Rakete zum Mond oder zum Mars ist das Fundament für eine Weltraumbasis – oder eben auch ein interkontinentaler Träger für Sprengköpfe aller Art. In den heutigen Mars-Missionen – es starten im Juli oder August auch Missionen der NASA und der Vereinigten Arabischen Emirate – sehe ich noch kein neues Weltraumrennen. Es könnte sich aber wieder eines entwickeln: US-Präsident Donald Trump hat es mit der Gründung der „Space Force“ der US-Streitkräfte wieder angefacht. Der Weltraum ist aus militärischer Sicht strategisch essenziell. Es geht um Kommunikation, Navigation und Erdbeobachtung, alle großen Militärs greifen heute auf diese Dienste zurück. Es findet ein großer Technologietransfer von zivilen zu militärischen Erfordernissen statt, an dem Konzerne wie SpaceX, Planet oder Spire sehr gut verdienen.   

3. Bietet das chinesische Raumfahrtprogramm neue Chancen für Europa? Wenn ja, welche? Und gibt es Risiken, die Europa im Auge halten müsste?  

Natürlich bestehen für Europa große Chancen. Die Europäer sind die einzigen, die mit allen anderen zusammenarbeiten können, auch weil es uns weniger um militärische Macht als um die Wissenschaft geht. Wir arbeiten immer wieder mit den USA, Russland, Indien, Japan zusammen – und eben auch mit China. Es mag an Europas dezentraler Struktur oder feinen Zurückhaltung liegen – in der Öffentlichkeit wird zu wenig gewürdigt, dass bei Weltraumprogrammen kein Land an Europa vorbeikommt: Wir sind die Nummer Eins in den Weltraumwissenschaften. Das belegt zum Beispiel die Entdeckung von Exoplaneten um einen sonnenartigen Stern, für den die Forscher an der Universität Genf den Nobelpreis erhielten. Die Chinesen sind im internationalen Vergleich noch nicht so gut wie die Amerikaner. Aber wir Europäer müssen uns fragen, wie verlässlich die Amerikaner sein werden. Die Chinesen sind potenzielle Partner, die man im Auge behalten muss. China hat den Vorteil, dass das, was von der Führung entschieden wird, durchgezogen werden kann. Als Neuling im Weltraumgeschäft hat das Land noch einen weiten Weg vor sich, gerade bei Computern, Robotik oder Energiesystemen.  

Das Interview führte unser Redakteur Gerrit Wiesmann.  

IM PROFIL: Xu Zhangrun: Tsinghua-Universität entlässt Kritiker Xi Jinpings

Zehn Polizeiwagen hatten am 6. Juli den Zugang zu Xu Zhangruns Zuhause in Beijing blockiert, als der renommierte Jura-Professor verhaftet wurde. Als offizielle Begründung wurde genannt, Xu habe Prostituierte besucht. Vertretern von Menschenrechtsorganisationen zufolge handelte es sich jedoch um den Versuch, Xu einzuschüchtern und seine Integrität anzugreifen. Der 57-jährige Professor hatte im Frühjahr viel beachtete Essays veröffentlicht, in denen er Chinas Covid-19-Krisenmanagement kritisierte und Probleme skizzierte, mit denen sich Chinas Führung im Inneren wie auch international konfrontiert sieht.

Xu, der an der Universität in Melbourne promoviert hat, war bereits im Visier der Behörden. Im März 2019 suspendierte die Tsinghua Universität den Professor, weil er die Aufhebung der Amtszeitbegrenzung für das Amt des Staatspräsidenten kritisch bewertet hatte. Inzwischen ist Xu zwar wieder auf freiem Fuß, seine Arbeit aber ist er los: die Tsinghua Universität hat ihn entlassen. 

Der Umgang mit Xu reiht sich ein in eine Serie ähnlicher Fälle seit Jahresbeginn und ist ein Signal, dass Beijing verstärkt gegen Kritiker vorgeht. Der Bürgerrechtsaktivist und Rechtsexperte Xu Zhiyong sowie Ren Zhiqing, ein milliardenschwerer Unternehmer, waren im Februar bzw. März verhaftet worden, nachdem sie Xi wegen seines Umgangs mit der Corona-Krise kritisiert hatten.  

Xu Zhangrun hat seit 2013 mehrere Artikel und Essays publiziert, in denen er Chinas aktuelle Politik diskutiert und Menschenrechtsverletzungen sowie Verstöße gegen die Verfassung anspricht. Er fordert unter anderem die Abschaffung des Systems der Wohnortregistrierung, das es Wanderarbeitern oftmals unmöglich macht, an ihrem städtischen Arbeitsort soziale Einrichtungen zu nutzen. Ebenso setzt er sich für ein Recht auf gleichen Zugang zu Bildung für alle Bürger ein.  

Zu Xus einflussreichsten Essays zählt der 2018 erschienene Beitrag „Akute Gefahren und unmittelbare Hoffnungen“. In Anlehnung an die konfuzianische Tradition, sich “mit einer offiziellen Note an den Thron” zu wenden, wandte er sich an die Kommunistische Partei, kritisierte Xis Politikwechsel hin zum Totalitarismus und schlug vor, Ordnung und Legitimität wiederherzustellen. Er wurde jedoch nicht angehört. Stattdessen ermittelten die Behörden gegen ihn.

Medienberichte und Quellen:  

MERICS China Digest

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Redaktion:

Verantwortliche Redakteurin: Claudia Wessling, Leiterin Publikationen, MERICS

Redakteure: Kerstin Lohse-Friedrich, Leiterin Kommunikation, MERICS, Gerrit Wiesmann, Freiberuflicher Redakteur, Fiona Bewley, Johannes Heller, MERICS

Graphik: Alexandra Hinrichs, Graphic designer, MERICS